Die Dichtergärten in der Welt des Islam sind ebenso zahlreich wie unbekannt. Annemarie Schimmel
Weltpoesie ist Weltversöhnung
(Fast) jeder (Liebhaber der deutschen Literatur oder nicht) kennt Goethe, aber viele wissen nichts oder wenig von Rückert, der langsam aber sicher Einzug in die Köpfe findet, nicht zuletzt durch seine lyrische Übersetzung der heiligen Schrift des Korans, die man mittlerweile in fast allen Buchhandlungen erwerben kann, besonders die 2012er-Ausgabe des Anaconda-Verlags.
Friedrich Rückert war nicht "nur" Sprachgelehrter, sondern auch Dichter und Übersetzer. Rückert hat sich mit über 40 Sprachen sprachwissenschaftlich auseinandergesetzt - darunter Arabisch, Persisch, Sanskrit, Türkisch und noch viele mehr. "In fast erschreckender Treue" habe Rückert die Poesie islamischer Völker ins Deutsche übertragen, sagte Annemarie Schimmel. Sein feinsinniges Gespür für Metrik war erstaunlich, sodass er knifflige arabische, persische und indische Metren nicht nur ausfindig machen konnte, sondern auch im Deutschen anzuwenden vermochte und dies dem Deutschen feierlich und voll Inbrunst in einem seiner Ghaselen "Die Form des Ghasels" mitteilte.
Übrigens war Rückerts Leitgedanke "Weltpoesie allein ist Weltversöhnung" bereits ein Traum Johann Gottfried von Herders und die formulierte Idee Johann Wolfgang von Goethes.
Rückert wurde am 16. Mai 1788 in Schweinfurt geboren; am 31. Januar 1866 verstarb er im Alter von 78 Jahren in Neues - bereits in seiner Jugend litt er an Beschwerden des Verdauungstraktes, sodass er später die Diagnose Darmkrebs erhielt.
Die jungen Jahre
Schon in jungen Jahren blühte in ihm die Affinität zu den orientalischen Studien auf. Die Kalligrafie begeisterte ihn so sehr, sodass er hier und da schöne kalligrafische Schriften zu kreieren begann. Mit 17 Jahren schloss er die Schulzeit am Gymnasium in Schweinfurt ab, wo er sich überwiegend mit klassischen Studien beschäftigte, und begann anschließend ein Studium von Sprachen (Hebräisch, Syrisch und Persisch) und Mythologie an der Universität Würzburg. Zwischendurch, und zwar 1808 im Alter von 21 Jahren, studierte er die griechische Metrik an der Universität in Heidelberg.
Drei Jahre später, 1811 im Alter von 24 Jahren, verteidigte er seine Dissertation in Jena, die er zwar auf Latein schrieb, weil er das Griechische bewunderte, aber in ihr die deutsche Sprache als perfektes Medium des Übersetzens zum Thema machte. Und dieses Thema ist es, welches Rückert sich zur Lebensaufgabe machte: Sprachgelehrter, Dichter und Übersetzer in einer Person vereint.
Kontakt mit Hammer-Purgstall, Goethes Divan und die Form des Ghasels
Im Jahr 1818 erhielt er eine Einführung ins Studium der arabischen, persischen und türkischen Sprache und Literatur durch den Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall in Wien. Hammer-Purgstall übersetzte u. a. den gesamten Divan des persischen Dichters Hafis (gest. 1389); diese Übersetzung inspirierte Goethe zum Verfassen seines westöstlichen Divans. In Wien lernte Rückert Arabisch und etwas Türkisch und in den folgenden Jahren lagen die orientalischen Studien im Fokus seines Schaffens. Die "Ghaselen nach Dschelaleddin Rumi" waren sein erstes Ergebnis, die er 1819 verfasste und ein Jahr darauf veröffentlichte. So führte er die Form des Ghasels in die deutsche Literatur ein:
Die Form des Ghasels
Die neue Form, die ich zuerst in deinem Garten pflanze,
O Deutschland wird nicht übel stehen in deinem reichen Kranze.
Nach meinem Vorgang mag sich nun mit Glück versuchen mancher
So gut im persischen Ghasel, wie sonst in welcher Stanze.
Das Ghasel ist ein Gedicht mit einem durchgehenden Reim: ein dichterisches Gebilde in quantitierenden Versmaßen. Diese Form war es, in der Rückert seine tiefsten Gedanken ausdrücken konnte. Während seiner Studien des Persischen erhielt er den westöstlichen Divan Goethes, der ihn in Begeisterung versetzte. Zu Goethes Divan schrieb er folgendes:
Wollt ihr kosten
Reinen Osten,
Müßt ihr gehn von hier zum selben Manne,
Der vom Westen
Auch den besten
Wein von jeher schenkt' aus voller Kanne.
Als der West war durchgekostet,
Hat er nun den Ost entmostet;
Seht, dort schwelgt er auf der Ottomane.
Abendröten
Dienten Goethen
Freudig als dem Stern des Abendlandes;
Nun erhöhten
Morgenröten
Herrlich ihn zum Herrn des Morgenlandes.
Wo die beiden glühn zusammen,
Muß der Himmel blühn in Flammen,
Ein Diwan voll lichten Rosenbrandes.
Könnt ihr merken
An den Stärken
Dieses Arms, wie lang' er hat gefochten?
Dem das Alter
Nicht den Psalter
Hat entwunden, sondern neu umflochten.
Aus iran'schen Naphthabronnen
Schöpft der Greis itzt, was die Sonnen
Einst Italiens ihm, dem Jüngling, kochten.
Jugendhadern
In den Adern,
Zorn und Glut und Mild' und süßes Kosen;
Alles Lieben
Jung geblieben,
Seiner Stirne stehen schön die Rosen.
Wenn nicht etwa ew'ges Leben
Ihm verliehn ist, sei gegeben
Langes ihm von uns gewognen Losen.
Ja von jenen
Selbst, mit denen
Du den neuen Jugendbund errichtet,
Sei mit Brünsten
Unter Künsten
Aller Art, in der auch unterrichtet,
Wie Saadi in jenem Orden
Über hundert Jahr' alt worden,
Und Dschami hat nah' daran gedichtet.
Aus: Friedrich Rückert, Gedichte, S. 105-106, Reclam Heft 3672
Er selbst plante sodann ein ähnliches Werk, eine Sammlung aus Liedern, Ghaselen und Vierzeilern, mit dem Titel "Östliche Rosen", die 1822 veröffentlicht wurde. Goethe lobte das Werk und bald darauf vertonte Schubert einige Gedichte daraus.
Heim
Gott geleite die armen traurigen Kranken heim!
Gott geleite die müden irren Gedanken heim!
Gott verleihe dir einen Stab der Geduld, mein Herz,
müder Wanderer! um am Stabe zu wanken heim.
Gott verleihe dir einen gnädigen Hauch, mein Schiff!
Aus den Wogen des Unbestandes zu schwanken heim.
Alle Triebe, dem dunklen Schoße, der Erd' entblüht,
Aufwärts ringen sie, sich zum Lichte zu ranken heim.
Alle duftigen Blütenstäubchen der Frühlingslust,
Rastlos sprühen sie, bis zum Staube sie sanken heim.
Also sehnet Hafisens Seele sich himmelwärts,
Und sein Irdisches zu den irdischen Schranken heim.
Aus: Gesammelte Werke, Band 2, Friedrich Rückert, Jazzybee Verlag J. B., S. 40.
Ehe, Kinder, Familie
Am 26. Dezember 1821 vermählt sich Rückert mit Luise Weitaus-Fischer und die Ehe mit ihr "war eine Quelle steten Glücks für Rückert, der sich sein Leben lang von der sanft erziehenden Kraft der liebenden Frau leiten ließ", kommentiert Annemarie Schimmel. 1830 wurde Luise, das erste Mädchen, geboren. 1832 starb ein Kind direkt nach der Geburt und auch das Töchterlein Luise starb 1833. Das Jahr 1834 sollte für das Ehepaar ebenso mit Trauer verbunden sein, denn der vierjährige Sohn Ernst , 1829 geboren, starb. In den folgenden Jahren entstehen nach und nach die sogenannten "Kindertotenlieder"; über 400 Lieder, die Rückert im Gedenken an seine verstorbenen Kinder schrieb. Einige der Lieder vertonte später Gustav Mahler. Weitere Kinder wurden geboren, darunter Marie Renata Rückert, die sich später um ihren Vater kümmerte und seinen Nachlass verwaltete.
Weitere Werke:
In den folgenden Jahren entstanden u. a. folgende Werke: "Makamen des Hariri" (1826), "Nal und Damajanti" (1828), "Shi-King. Chinesisches Liederbuch" (1833), "Kindertotenlieder" (1833-1834), "Gesammelte Gedichte" (1834-1838.), "Die Weisheit des Brahmanen" (1836-1839), "Sieben Bücher Morgenländischer Sagen und Geschichten" (1837), "Erbauliches und Beschauliches aus dem Morgenlande" (1837-1838), "Brahmanischen Erzählungen" (1839).
Professur in Berlin:
In den Jahren 1841 bis 1848 lehrte Rückert als Professor der Orientalistik an der Universität in Berlin. Während dieser Zeit ließ er seine Übersetzung der arabischen Gedichte des Imrul'-qais ("Amrilkais, der König und Dichter") drucken. Außerdem beendete er seine Arbeit an der "Hamasa", eine Sammlung arabischer Heldenlieder, an die er bereits in den späten Zwanzigern werkelte. In Berlin lebte er eher zurückgezogen, weil ihm die Großstadt wenig zugetan war.
Ich bin gestorben dem Weltgetümmel
Am 17. März 1848 reiste er schließlich nach Neues zum eigenen Landgut. Bis 1866 wird er stets von Freunden und Verehrern besucht, u. a. Felix Dahn und Gustav Freytag. Im Jahr 1857 stirbt seine Gattin. Rückert folgt ihr am 31. Januar 1866.
Ich bin der Welt abhanden gekommen
Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!
Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.
Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!
Sprachstudien - Arabisch
Sagt meinen Brüdern, die mich Toten sehn:
Ich bin nicht dieser Tote den ihr seht.
Ich bin der Vogel, und der Käfich das,
Dem ich entfloh und der nun öde steht.
Ich bin der Schatz, und mein Verschluß ist hier
Der Staub der auf nun in Verklärung geht.
Ich danke Gott, daß er mich frei gemacht
Und meine Wohnung hat zu sich erhöht.
Arabische Verse von Abu l-Hasan as-Sibti (gestorben 1203), die laut Annemarie Schimmel oft Abu Hamid al-Ghazali (gestorben 1111) zugeschrieben werden. Siehe Abbildung 1.
Sprachstudien - Sanskrit
Ein Sanskrit Liebesliedchen
Hast Honig auf den Lippen,
Und in dem Herzen Gift;
La(ß) mich vom Lippchen nippen,
Das Herzchen will ich nicht.
Ein Sanskrit Liebesliedchen nach Bhartrhari (großer indischer Dichter und Kompilator, für den sich schon Herder sehr interessierte); der Sanskrit-Text in Umschrift. Siehe Abbildung 2.
Dichtung von Dschalal Ad-Din Ar-Rumi von Rückert übersetzt
Komm, dass ich dich fasse
Komm, dass ich dich fasse, (reiche mir die Hand!)
Und dich nie mehr lasse, reiche mir die Hand!
Sieh die Finsternisse, die auf Erden sind;
In der dunkeln Gasse reiche mir die Hand!
Von des Schicksals Schlusse ward mir Tücke kund;
Am fahrvollen Passe reiche mir die Hand!
Deines Pilgers Reise ist bedroht vom Feind;
Wehre seinem Hasse, reiche mir die Hand!
Komm, dass ich sie presse an das Herz, das brennt,
An dies Aug', das nasse, reiche mir die Hand!
Auf zu deinem Schlosse klimm' ich, holder Mond;
Dass ich dir erblasse, reiche mir die Hand!
Abb. 1: Sprachstudien - Arabisch
Aus dem Stadtarchiv Schweinfurt, Sammlung Dr. Rüdiger Rückert, A II 18-3-36.
Abb. 2: Sprachstudien - Sanskrit
Aus dem Stadtarchiv Schweinfurt, Sammlung Dr. Rüdiger Rückert, A II 159-110.