Qasida

"Da schloss er die Augen und begann, zuerst leise und dann allmählich lauter, eine Qasida, ein sinnbildliches Liebeslied, vorzutragen. Und einige der Gäste, die sich näher um ihn geschart und die Kapuzen ihrer Djellaba zurückgeschlagen hatten, sangen nach einer herben, altandalusischen Weise den Kehrreim, der die Schahada, die Bezeugung der göttlichen Einheit, enthielt. Die arabischen Verse des Gedichtes eilten in raschem, drängendem Schritt dahin, während die Antwort in weit ausholenden Wogen wiederkehrte. Auf einmal floss der Strom des bisher nur antwortenden Chores ununterbrochen weiter, indem er sich in mehrere, nebeneinander herlaufende Rhythmen verzweigte, über welchen die Stimme des leitenden Sängers in hellerem Tone wie ein himmlisches Frohlocken über einem Kriegsgesang dahintanzte.


Eigenartig war, dass all die vielfältigen Linien der Melodie nirgends zu jenen Akkorden zusammenflossen, die den Strom des Gefühls wie in einem breiten Bett ausruhen lassen und der Sehnsucht einen allzunahen, menschlichen Trost versprechen; nie wurde die Melodie zu einem diesseitigen Raume, und nie klangen ihre Linien versöhnt zusammen, sondern sie flossen endlos dahin, unablässig kreisend um eine lautlose Mitte, die immer deutlicher vernehmbar wurde, als eine zeitlose Gegenwart, ein geistiger Raum ohne Gestern und Morgen, ein kristallenes Jetzt, in dem alle Ungeduld ertrank."1 


"Aller klassischen Poesie - im arabischen, Persischen und Osmanisch-Türkischen wie im Urdu - ist die Form des ghazal (Ghasel) und der qasida (Kassida) eigen, dichterische Gebilde in quantitierenden Versmaßen, die einen durchgehenden Reim besitzen [...]."2 


1 Aus: Fez, Stadt des Islam, Titus Burckhardt, S. 18-19.

2 Aus: Nimm eine Rose und nenne sie Lieder von Annemarie Schimmel, S. 13.

Qasida